Selbstbewusstes Rotkäppchen trifft auf Johannes Brahms

Anna Gitschthaler über ihr theatrales und interaktives Schulhauskonzert

Wer kennt sie nicht, die Geschichte von Rotkäppchen, der Grossmutter und dem bösen Wolf. Die Sopranistin und Musikvermittlerin Anna Gitschthaler bringt mit ihrem theatralen und interaktiven Schulhauskonzert frischen Wind in die traditionsreiche Erzählung. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen – und wer am Ende wen (fr)isst, bleibt bis zum Schluss eine Überraschung. Begleitet von der Musik von Johannes Brahms findet sich das Publikum nach einer verrückten Verfolgungsjagd nämlich plötzlich im Bauch des Wolfes wieder. 

Im Interview mit Schule+Kultur stellt Anna Gitschthaler «ihr» Rotkäppchen vor, das nicht mehr viel mit dem scheuen und naiven Mädchen aus der Grimm-Vorlage zu tun hat. 

Hast du eigene Erinnerungen ans Rotkäppchen aus deiner Kindheit?

Ja, Rotkäppchen war eins meiner Lieblingsmärchen. In meiner Kindheit nahm ich die Geschichte einfach so hin: Rotkäppchen wird überredet zu bleiben, der Wolf frisst die Grossmutter und veräppelt das naive Rotkäppchen. Rotkäppchen braucht je nach Geschichte vier Fragen, bis es versteht, dass dies nicht die Grossmutter ist, und ich sass jedes Mal gespannt da und hoffte, dass endlich der heldenhafte Jäger kommt, um Rotkäppchen und die Grossmutter zu befreien.

Weshalb wolltest du von den unzähligen Märchenstoffen gerade dem «Rotkäppchen» ein Update verpassen?

Die Idee für ein modernes Rotkäppchen entstand aus dem Motto «Flunkern» des Davos-Festivals 2022. Zu diesem Thema kam mir sofort Rotkäppchen in den Sinn: der Wolf, der flunkert und Rotkäppchen immer wieder anlügt, um seine Ziele zu erreichen. Unser Update des Märchens bringt ein freches, frisches Rotkäppchen auf die Bühne – nicht das brave, kleine Mädchen, sondern eine Heldin mit Witz und Persönlichkeit.

Zudem finde ich es wichtig, dass Kinder Märchen als Teil unserer Kultur erleben. Kinder sehen Märchen anders als Erwachsene. Es wäre schade, ihnen zu verheimlichen, dass es im Leben vorkommen kann, dass man in die Irre geführt wird oder schöne Versprechungen hört, die einen den eigenen Weg verlieren lassen. Ich teile die Ansicht von Bruno Bettelheim: «Kinder brauchen Märchen.» Märchen geben ihnen die Möglichkeit, innere Konflikte zu verstehen und sie in der Fantasie zu bewältigen.

Die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen und das Finale findet nach einer Verfolgungsjagd im Bauch des Wolfs statt – was kannst du uns sonst von deiner Version der Geschichte verraten?

Ich kann verraten, dass unser Konzert interaktive Elemente für die Kinder bereithält. Unser Wolf ist humorvoll und muss sich von Rotkäppchen und der Grossmutter so einiges gefallen lassen! Zudem begegnen die Kinder im Stück einigen deutschen Dialekten, was ihnen einen lebendigen Zugang zur Geschichte bietet. Eine besondere Rolle spielen die Kinder beim grossen Finale: Mit ihrer Unterstützung helfen sie Rotkäppchen und der Grossmutter, sich aus dem Bauch des Wolfs zu befreien. Ihre Teilnahme macht die Geschichte für sie lebendig und spannend.

Ein zeitgemässes Rotkäppchen, begleitet von der klassischen Musik von Johannes Brahms. Wie gelingt dieser Spagat?

Rotkäppchen ist genauso wie die Volkslieder von Johannes Brahms ein Volksmärchen, daher fiel uns der musikalische Übergang leicht. Spannend wird es, wenn der Wolf zuerst ein klassisches Lied im modernen Stil singt und dann, als er Rotkäppchen sieht, zur klassischen Form wechselt, um sie zu beeindrucken. So erleben die Kinder nicht nur eine Geschichte, sondern kommen ganz nebenbei mit klassischer Musik in Berührung und können sehen, wie eine Harfe oder Klarinette aussieht und klingt.

Auf welche Weise geschieht die Interaktion mit dem jungen Publikum?

Die Interaktion beginnt, indem die Kinder für den Wolf Rhythmus- und Geräuscheffekte erzeugen und ihn bei seinem Auftritt unterstützen. Es gibt auch Stellen, an denen sie mitsingen und mittanzen dürfen, und die Verfolgungsjagd zwischen Wolf und Rotkäppchen findet direkt im Publikum statt. Besonders am Ende werden die Kinder aktiv eingebunden, um Rotkäppchen und der Grossmutter zu helfen, aus dem Bauch des Wolfs zu entkommen – das Finale hängt also ganz von ihrer Hilfe ab!

Das theatrale Konzert wurde bereits mehrere Male aufgeführt. Wie hast du die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer bisher erlebt?

Es war grossartig! Die Kinder haben mitgefiebert, mitgelacht und mitgesungen. Bei der Verfolgungsjagd gab es sogar «Teams» im Publikum: Eine Hälfte unterstützte den Wolf, die andere Rotkäppchen. Die einen riefen dem Wolf zu, wo Rotkäppchen sich versteckt, während die anderen Rotkäppchen warnten: «Pass auf, da ist er!» Die Begeisterung der Kinder war wunderbar mitzuerleben, und auch das Feedback der Eltern war sehr positiv – viele waren überrascht und begeistert von dem interaktiven Erlebnis, das sie so nicht erwartet hatten.
 


Die Sopranistin Anna Gitschthaler begeistert nicht nur auf der Opernbühne, sondern widmet sich mit grosser Leidenschaft auch der Musikvermittlung. Auch in Zusammenarbeit mit der Tonhalle Zürich und dem Opernhaus Zürich bringt sie jungen Menschen klassische Musik näher und schafft interaktive Konzerterlebnisse wie zum Beispiel beim Familienkonzert «Thorstein und die Riesen» in der Tonhalle Zürich. 


Angebot «#rotkäppchen»
1.–6. Primarklasse, 1.–3. Sekundarklasse
Website Anna Gitschthaler

Interview: Schule+Kultur

Anna Gitschthaler (Foto: Shirley Suarez)