Let‘s dance, Giac!

So tanzen Giacomettis Skulpturen

Im Workshop «Let’s dance, Giac!» erwecken Schülerinnen und Schüler die Figuren von Alberto Giacometti zum Leben. Der ganztägige Projekttag in den Räumlichkeiten des alten und neuen Kunsthauses Zürich richtet sich an Schulklassen der 4. bis 6. Primarschule.
Der Workshop findet in Halbklassen statt: Im einen Teil werden Körperbewegungen wahrgenommen und getanzt, im anderen steht die Werkbetrachtung vor den Originalen und das Malen im Atelier im Vordergrund. Nach dem Mittag wechseln die Gruppen das Programm. Zum Schluss kommen die beiden Halbklassen wieder zusammen und zeigen sich gegenseitig die erlernten Tänze und die entstandenen Malereien.

Das Projekt entstand als Kooperation des tanzpädagogischen Duos Christiane Loch und Silvano Mozzini und der Kunstvermittlerin Regula Straumann. Im Interview erzählt das Team unter anderem, woher die Idee für dieses Vermittlungsangebot stammt, wie die Schülerinnen und Schüler und Lehrpersonen von diesem Projekttag profitieren können und was ihre ganz persönliche Beziehung zu Alberto Giacometti ist.  
 

Skulpturen können sich meistens nicht bewegen. Woher kommt die Idee, Giacomettis Figuren den Schülerinnen und Schülern mittels Tanz näherzubringen?

Christiane Loch/Silvano Mozzini: Wir wollten erstens einen Schweizer Künstler vorstellen und zweitens gibt es viele Themen in Giacomettis Werken, die uns interessieren: starr wirkende Figuren, den Blick ins Nichts oder in die Ferne gerichtet, Füsse wie ein Sockel (Standhaftigkeit ist sehr wichtig im Tanz), andererseits die runden Formen der Skulpturoberfläche. Sie wirken fast verspielt, scheinbar noch nicht fertig und sind deshalb für uns sehr attraktiv. 

Wie verbindet sich der körperliche Teil des Workshops mit der Werkbetrachtung vor den Originalen und dem Malen im Atelier aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler?

Loch/Mozzini: In diesem neuen ganztägigen Workshop im Kunsthaus finden wir auch zwei verschiedene Wege, die die zwei Halbklassen machen. Die eine Hälfte lernt Giacometti zuerst über den Körper kennen und erlebt dann bestaunend und zeichnerisch die Welt von Giacometti. Die andere Hälfte erlebt und zeichnet im «Stil» von Alberto Giacometti und kommt nachher zum Tanz.
Regula Straumann: In beiden Teilen gehen wir von dem aus, was Alberto Giacometti auch in seinen Skulpturen suchte: Dem Geheimnis des Seins auf die Spur zu kommen. Wie kann man die Leichtigkeit des Aufrechtgehens in einer Skulptur bzw. in einem Bewegungsablauf umsetzen? Wie die Schwere des Liegens bzw. der Erdanziehungskraft? Al und Giac als gegensätzliche Charaktere begleiten uns durch den ganzen Workshop. Dabei verkörpert Al das weiche, fliessende Element der Tonerde oder des Gipses, mit dem Giacometti seine Modelle herstellte, und Giac das harte, feste Wesensmerkmal der Bronzeabgüsse. Die prozesshafte Herangehensweise ist in beiden Teilen sehr wichtig.

Welche Rolle haben die Lehrpersonen bei diesem Projekttag? 

Straumann: Die Lehrpersonen sind dabei und unterstützen die Kursleiter/innen. Falls sie mögen, können sie auch selbst mitmachen. Es ist für sie eine Chance, die Schüler/innen in einem unbekannten Umfeld, mit anderen Bezugspersonen kennenzulernen.
Loch/Mozzini: Die Lehrpersonen sind gemeinsam mit uns verantwortlich, einen möglichst ungestörten Ablauf zu ermöglichen. Es ist ausserdem wichtig, dass die Lehrpersonen den Workshop mit den Schülerinnen und Schülern nachbesprechen.

Welche Kompetenzen können die Schülerinnen und Schüler hinsichtlich des Lehrplans 21 mitnehmen?

Straumann: Es können ganz verschiedene Lehrplan-Kompetenzen erworben werden. Zum Beispiel Darstellen und Gestalten (BS.3.B), Körperausdruck zu Musik (MU.3.B), Kunst- und Bildverständnis (BG.3.B.1), Wahrnehmung und Reflexion (BG.1.A.2), Gestaltungs- bzw. Designprozess (TTG.2.A.1) sowie Bildnerische Verfahren und kunstorientierte Methoden (BG.2.C.1).

Könnt ihr von besonderen Momenten aus vergangenen Workshops erzählen, die euch als Vermittlerinnen und Vermittler beeindruckt haben?

Straumann: Ganz allgemein die Freude, mit der die Schüler/innen ihre Skizzen von Giacomettis Skulpturen mit grosszügigen Pinselstrichen an den Malwänden umsetzen und den Tanz vorführen. 
Loch/Mozzini: Den Schülerinnen und Schülern gefällt die Vorstellung, dass sich die Skulptur nur nachts traut, aus ihrer Starre zu erwachen. Das finden sie super spannend und geheimnisvoll – auch, weil sie während ihrem eigenen Tanz immer wieder kurz erstarren müssen, da vielleicht gerade ein Security die Runde macht.

Was fasziniert euch ganz persönlich an den Skulpturen von Giacometti und könnt ihr euch erinnern, wann ihr sie zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habt?

Straumann: Ich bin ihnen zum ersten Mal mit 17 Jahren im Kunsthaus Zürich begegnet. Mich faszinierte damals, dass die Figuren nicht im klassischen Sinne schön anzusehen sind, sondern mit ihren überlangen, dünnen Körpern und den unebenen Oberflächen wie aus einer anderen Welt zu kommen scheinen. 
Loch: Während meiner Ausbildung zur Bewegungskünstlerin entwickelten wir ein Stück. Das Plakat dazu malte ein Künstler. Es zeigte ganz dünne, schwarze Figuren, die ganz alleine erschienen, obwohl sie alle im gleichen Raum standen. Das fand ich sehr berührend und schön. Die Giacometti-Skulpturen habe ich dann erst ein bisschen später gesehen und war total fasziniert.
Mozzini: Ich hielt mich in jungen Jahren einen ganzen Monat in Stampa auf, dem Geburts- und Rückzugsort von Giacometti. Logiert habe ich bei einer Frau, die ein Restaurant in Stampa führte. Sie erzählte mir, dass Alberto Giacometti immer auf die Tischsets skizzierte. Und dass sie heute bestimmt eine reiche Frau wäre, hätte sie diese Sets damals aufbewahrt. Diese Anekdote und das Kennenlernen seines Heimatortes werden mir für immer in Erinnerung bleiben. 



Zu Regula Straumann: Ich arbeite seit dem Jahr 2000 als Kunstvermittlerin im Kunstmuseum Solothurn und im Kunsthaus Zürich. Als Theaterpädagogin interessieren mich spartenübergreifende Projekte sehr. Ich empfinde es als eine Bereicherung, mich mit «Kopf, Herz und Hand» – also ganzheitlich – mit einem Thema auseinanderzusetzen. Dem Inhalt auch über den Körper zu begegnen, ergibt einen spontaneren Zugang zu einem Werk, da man sich eher von seiner Intuition leiten lässt. Ich bin Mitbegründerin der Theatergruppe SEM, bei der ich seit 2000 an 15 Produktionen als Projektleiterin, Schauspielerin oder Regisseurin mitgewirkt habe.

Zu Christiane Loch und Silvano Mozzini: Wir arbeiten seit mehr als zehn Jahren im Team «Echt stark!». Es entstanden verschiedene Projekte bzw. Workshops, unter anderem das hier vorgestellte Giacometti-Projekt. Wir sind oft im Austausch mit Künstler/innen aus den Bereichen Theater, Musik und Film oder lassen uns von Bildern und Skulpturen inspirieren. Einen so engen Austausch mit Jemandem aus dem Bereich bildender Kunst hatten wir jedoch noch nie. Neben unserer Arbeit bei «Echt stark!» sind wir seit mehreren Jahrzehnten mit unserer Kompanie «Carambole Performing Arts» mit Bühnenstücken, In- und Outdoor Performances oder Workshop-Projekten in vielen Ländern unterwegs und geniessen dabei vor allem den interkulturellen Austausch mit den Menschen. 

Zwei Feedbacks von Lehrpersonen, die das Angebot im März und April 2022 mit ihren Klasses besucht haben

«Mehrere Kinder kamen in den Pausen zu mir und mussten spontan ihre Freude mit mir teilen. Ich habe ein Foto von einem Jungen gemacht, den ich zum ersten Mal seit 2,5 Jahren richtig lachen sah. Heute habe ich nachgefragt und alle Kinder fanden es super. Ich hoffe, dass noch viele Schülergruppen diese Erfahrung machen dürfen. Ihr konntet die Begeisterung und Freude am Tanz weitergeben. Man sollte mehr tanzen, denke ich.»

«Der Ablauf war sauber gegliedert und die Aufteilung in zwei Gruppen gab den Kindern mehr Raum sowie uns die Möglichkeit, sie näher zu begleiten. Die Freude über ihre Gemälde, ihre Tanzaufführung und die bleibenden Eindrücke des Kunsthauses waren deutlich in den leuchtenden Augen zu erkennen. Wir werden euch gerne weiterempfehlen.» 

Infos und Anmeldung Workshop «Let's dance, Giac!»
Team «Echt stark!»
Carambole Performing Arts
Kunsthaus Zürich

Interview: Schule+Kultur