Neugierig auf alte Scherben

Mit dem Archäomobil Ostschweiz forschend Geschichte erleben

Fällt das Stichwort «Archäologie», denken die meisten an grosse Entdeckungen in fremden Ländern. Dass auch unter Zürcher Gärten, Schulwegen oder Pausenhöfen unentdeckte Schätze schlummern, zeigt das Archäomobil Ostschweiz in Workshops direkt auf dem Schulhausplatz. Schule+Kultur hat Franziska Pfenninger, Präsidentin des Vereins Archäologie mobil, ein paar Fragen zu diesem neuen Vermittlungsangebot gestellt. 

Was kann man heute im Kanton Zürich unter der Erde noch alles so finden? 

Der Zürcher Boden ist voll mit Archäologie. Ausgegraben wird aber nur, wenn etwas von der Zerstörung bedroht ist (meist durch ein Bauprojekt). Von der Altsteinzeit bis zum Mittelalter kann alles dabei sein. Aus der Jungsteinzeit und Bronzezeit gibt es zahlreiche Seeufersiedlungen (auch Pfahlbausiedlungen genannt). Ein bekanntes Beispiel ist Zürich-Opéra. Die Pfahlbaufundstellen sind bekannt für ihre gute Erhaltung. Einige sind gar UNESCO-Welterbe. Oft gibt es aufgrund bisheriger Ausgrabungen Vermutungen, was wo sein könnte. Was dann genau gefunden wird, ist meist eine Überraschung.

Wann landet ein Fund im Museum, wann in einem Archiv? 

In der Regel landen die Funde nach einer Ausgrabung erst im Waschtrog oder im Labor der Konservierung und Restaurierung. Danach geht es weiter zur Inventarisierung und schliesslich zur wissenschaftlichen Auswertung. Ob ein Fund anschliessend im Museum landet, hängt unter anderem davon ab, ob es eine entsprechende Ausstellung gibt. Der Kanton Zürich beispielsweise hat kein archäologisches Museum. Im Landesmuseum und in einigen Ortsmuseen sind jedoch Zürcher Funde ausgestellt. Die allermeisten bleiben jedoch im Archiv. Es sind einfach viel zu viele und nicht alle eignen sich für eine Ausstellung.

Weshalb ist die Vermittlung von Archäologie für unsere Gegenwart wichtig? 

Wir sollten wissen, woher wir kommen, bevor wir entscheiden, wohin wir gehen wollen. Was das bedeutet, kann vielleicht an einem Beispiel veranschaulicht werden. Unsere radioaktiven Abfälle werden noch 1 Mio Jahre strahlen. Die Geschichte des Menschen ist ca. 2,4 Mio Jahre alt. Über die Anfänge wissen wir sehr wenig. Wie wollen wir also heute Entscheidungen treffen für eine Zukunft, die so weit entfernt liegt? Die Archäologie vermag viel zu aktuellen und gesellschaftsrelevanten Themen beizutragen: zum Beispiel zu Klima, Migration, Epidemien, Tod oder eben auch Abfall. 

Wie ist die Idee entstanden, mit einem Bus direkt zu den Schulen zu fahren? 

Die Idee entstand unter anderem daraus, die Hürden zu senken für einen ersten «Kontakt» mit Archäologie. Einige archäologische Fachstellen waren vor ein paar Jahren massiv unter Spardruck. Mein Wunsch war es, deren Arbeit sichtbarer zu machen, der Bevölkerung ihr eigenes Kulturerbe zu zeigen und sie dafür zu sensibilisieren. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass viele Kinder sehr fasziniert sind von der Archäologie und gute Fragen stellen. Beides zusammen ist quasi der Motor, mit dem wir an die Schulen fahren.

Was erwartet die Schüler/innen bei einem Archäomobil Ostschweiz-Workshop? 

Die Schüler/innen erfahren, wie Archäolog/innen arbeiten. Während des Workshops dokumentieren sie ein Grab von der Freilegung bis zu den Arbeiten im Büro. Der professionell gestaltete Bus ist dabei ein wichtiges Element. Er ist aussen eine Art fahrende Wandtafel und innen voll beladen mit archäologischen Originalfunden aus den vier Trägerkantonen (SH, SG, TG und ZH) und interaktiven Modulen. Die Workshops sind sehr spielerisch angelegt. Die Schüler/innen können also nicht nur originale Funde sehen und sogar berühren, sondern auch forschen wie echte Archäolog/innen.

Wie bauen die Lehrpersonen dieses Angebot am besten in den Unterricht ein und welche Kompetenzen gemäss Lehrplan 21 werden durch diesen Workshop gefördert?

Die Einbettung kann sehr individuell geschehen. Vorwissen ist grundsätzlich keines nötig. Unsere Vermittler/innen knüpfen am vorhandenen Wissen an und orientieren sich soweit möglich an den Interessen der Schüler/innen. Wir sind methodisch orientiert, vermitteln also nicht Urgeschichte, wie dies ein Museum macht. Aber wir können gut aufzeigen, wie Archäolog/innen die Urgeschichte rekonstruieren. Dabei arbeiten wir auch mit Originalfunden aus Zürich und den anderen drei Trägerkantonen. Besucht die Klasse anschliessend noch ein Museum, wissen die Schüler/innen bereits, woher die Objekte stammen und wie sie ins Museum gelangen. Der Inhalt des Workshops kann aber auch zu ganz anderen Themen führen wie z.B. der Frage, was von uns einst bleibt und was wir hinterlassen möchten. 
Geförderte Kompetenzen gemäss Lehrplan 21 sind NMG 2.5; 7.2; 7.4; 8.3; 9.1; 9.2 und 9.3. Der Workshop fördert ausserdem diverse überfachliche Kompetenzen wie die Selbständigkeit, das Nutzen von Informationen oder die Kooperationsfähigkeit.

Wie geht ihr bei der Durchführung mit den aktuellen Herausforderungen rund um Corona um? 

Ich denke, wir haben das ideale Angebot für diese Zeit. Dadurch, dass wir direkt auf den Pausenhof kommen, fällt der Reiseweg für die Schulklassen weg. Ein Teil des Workshops findet zudem draussen statt. Unsere Vermittler/innen halten sich selbstverständlich an die geltenden Hygieneregeln und tragen eine Maske. Die Hands-on-Stationen werden nach jedem Workshop desinfiziert. Aber natürlich merken auch wir Zurückhaltung und es war kein einfacher Start im 2021.

Welche Vorteile seht ihr, wenn mehrere Klassen aus einem Schulhaus mit dem Archäomobil Ostschweiz arbeiten?

Die Lehrpersonen können sich untereinander absprechen wegen der Lektionen und das Thema Archäologie kann theoretisch auch fächerübergreifend behandelt werden. Archäologie ist ja ein sehr interdisziplinäres Fach. Ausserdem hoffen wir natürlich, dass unter den Schüler/innen ein Austausch über das Erlebte stattfindet. Es geht ja eben nicht nur um Archäologie, sondern auch um Methoden und ganz alltägliche Fragen und Themen, die wir aufgreifen. Grundsätzlich ist es aber von unserer Seite wegen des Aufwandes wichtig, dass wir zwei Workshops pro Schulhaus durchführen können. 

Franziska Pfenninger ist die Präsidentin des Vereins Archäologie mobil. Sie studierte Ur- und Frühgeschichte, Geschichte des Mittelalters und Umweltwissenschaften an der Universität Zürich. Sie ist Kuratorin für regionale Archäologie im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen und Projektassistentin Öffentlichkeitsarbeit in der Kantonsarchäologie Schaffhausen. Das Archäomobil ist ihre nun lebendig gewordene langjährige Vision.

Infos zum Angebot und Anmeldung
Website Archäomobil Ostschweiz

Interview: Schule+Kultur

Foto: Archäomobil Ostschweiz