Christoph Fellmann lebt und arbeitet als freischaffender Theatermacher in Luzern. Er ist Autor von mehr als 25 Stücken und hat in über 30 Produktionen mitgespielt. Von 1989 bis 2017 arbeitete er auch als Journalist – für den «Tagesanzeiger», «Das Magazin» oder die «NZZ am Sonntag». Der recherchierende und dokumentierende Ansatz ist ein Hauptmerkmal seiner Theaterarbeit.

Ablauf Lesung

Der Autor liest mehrere Texte aus «Die grosse Menschenschau». Dabei handelt sich um literarisch gestaltete Monologe real existierender Personen aus Politik, Wirtschaft und Internet. Er stellt das gleichnamige Buch und Theaterprojekt vor und diskutiert es mit dem Publikum.

Werke

• Die grosse Menschenschau. Monologe (essais agités / Der gesunde Menschenversand 2024), ab 16 Jahre

Leseprobe aus «Die grosse Menschenschau»

Die Zecke weiss überhaupt nichts von einem Netz des Lebens, oder von Bakterien. Die lebt in einer Welt aus Körperwärmefeldern, in die sie sich fallen lässt, und aus Geruchswolken von Buttersäure, die aus der Säugetierhaut aufsteigen. Das ist alles, was die Zecke den ganzen Tag mitbekommt. Es ist nicht viel, aber es ist alles, was die Zecke wissen muss. Und schauen Sie, das ist der Punkt. Da hat sich der Mensch ja verloren. Das hat der Mensch verloren, dass er in seiner kleinen Welt alles weiss, was er wissen muss. Weil seine kleine Welt nämlich viel zu gross geworden ist. Und darum ist er so einsam und verwirrt, der moderne Mensch. - Das sind die Dinge, an die ich denke, wenn ich im Bau liege. Ich bin zurück im Netz des Lebens. In meiner Kniekehle hockt die Wühlmaus und riecht an meinem Kot. Ich bin jetzt ein Habitat. Und es ist egal, wo ich aufhöre und wo das Habitat beginnt. Wo der Regenwurm aufhört und wo ich beginne. Ich bin aufgehoben. - Einmal an einem Abend gehe ich tiefer in den Park hinein. Die Nase am Boden, passiere ich das Holunderdickicht. Ich strecke den Kopf heraus, schnuppere. Es blitzt. Ich hebe den Kopf, es blitzt nochmals. Ich bin in eine Fotofalle geraten.