Wie das Township tanzt

Eine tänzerische Begegnung zwischen den Kulturen Südafrikas und der Schweiz

Tshediso Mokoena und Teboho Moloi leben im südafrikanischen Township Katlehong nahe Johannesburg und gehören zum Tanzkollektiv Fishers of Man Arts Project. Seit mehreren Jahren kommen die beiden immer wieder in die Schweiz, um Pantsula-Tanzworkshops zu geben. Mehrere tausend Schülerinnen und Schüler haben sie bereits erfolgreich mit dem «Virus» ihrer kraftvollen, rasend schnellen Bewegungen angesteckt. Die Workshops mit dem Titel «Life in Progress» bieten den Klassen darüber hinaus auch Gelegenheit, sich über die Lebensumstände in einem der reichsten Länder und einem von Armut und Apartheid geprägten Land auszutauschen.  
 
Buchen können Lehrpersonen die Workshops im Programm von Schule+Kultur. Ansprechperson für dieses Angebot ist Joy Amendola, die an der Uni Zürich Ethnologie, Politik und Umweltwissenschaften studierte und den Masterstudiengang «Weltgesellschaft und Weltpolitik» an der Uni Luzern absolvierte. Schule+Kultur wollte im Interview mit ihr wissen, wie der Kontakt zur südafrikanischen Tanzgruppe zustande kam und worin sie den Wert des kulturellen Austauschs für beide Seiten sieht.

Südafrika ist für uns das Land der wilden Tiere, der schönen Strände und damit ein beliebtes Reiseziel; andererseits prägten europäische Kolonialherren und Rassentrennung die jüngere Geschichte. Was fasziniert dich persönlich an dieser Weltgegend?

Südafrika fasziniert mich trotz seiner schwierigen Geschichte und grossen Herausforderungen durch seine wundervolle Vielfalt, welche sich nicht nur in den Landschaften und der Tierwelt, sondern auch in der Kultur widerspiegelt. Mit elf offiziellen Sprachen und einer Vielzahl von Ethnien und Traditionen ist das Land ein Melting Pot der Kulturen. Dies spürt man am deutlichsten in den Townships, wo kulturelle Vielfalt nicht nur gelebt, sondern beispielsweise auch in Tanz und Musik gefeiert wird. Für mich am faszinierendsten ist jedoch, dass man in der Bevölkerung trotz der grossen sozialen und wirtschaftlichem Probleme enorm viel Hoffnung, Resilienz und Vergebung verspürt. Eine Haltung, die aus der Geschichte des Kampfes um die eigene Freiheit resultierte. 

Wie kam es dazu, dass seit rund zehn Jahren Pantsula-Tänzerinnen und Tänzer für jeweils zwei, drei Monate in die Schweiz kommen und Workshops für Schulklassen anbieten?

Alles begann mit dem Dokumentarfilm «Life in Progress» von Irene Loebell, welcher nicht nur einen tiefen Einblick in das Leben der Tänzer/innen in der Township Katlehong bietet, sondern auch in die harte Arbeit, welche hinter der rasend schnellen Bewegung steckt. Um in der Schweiz eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Themen des Films zu ermöglichen, organisierte Irene Loebell Podiumsdiskussionen nach den Kinovorstellungen sowie Workshops an Schulen. Dafür reisten die Tänzer/innen erstmals in die Schweiz. Die Nachfrage nach diesem einzigartigen Angebot wuchs schnell. Der direkte Austausch mit Menschen aus einer anderen Kultur, der gleichzeitig so viel positive Energie und neues Wissen vermittelt, wird von Schweizer Lehrpersonen und Schüler/innen gleichermassen enorm geschätzt. Dank dem grossen Engagement der Lehrpersonen, die ihren Schüler/innen diese bereichernde Erfahrung ermöglichen möchten, dürfen wir dieses Angebot nun schon seit zehn Jahren durchführen. 

Pantsula ist ein urbaner Tanz, energiegeladen, rasend schnell, rhythmisch und überraschend. Wo hat dieser Tanz seinen Ursprung? 

Die Art des Pantsulas wie wir ihn heute kennen, entstand in den 1970er Jahren in den Townships Südafrikas und war eng mit der sozialen und politischen Realität des Landes während der Apartheid verbunden. Die Tanzart entwickelte sich als Ausdruck des Widerstands gegen die Unterdrückung und Diskriminierung, welche die sogenannten Blacks erfuhren. Inmitten von Gewalt, harter Arbeit, Ungerechtigkeit und Armut bot Pantsula den Blacks die Möglichkeit, ein Gefühl von Menschlichkeit und Identität zurückzugewinnen. Die narrativen Tänze sind daher oft von sozialkritischen Themen geprägt und spiegeln die Lebensrealitäten der Tanzenden wider, während sie zugleich eine Plattform für Gemeinschaft und Solidarität schaffen. Obwohl der Tanz heute meist von lauter Musik begleitet wird, wurde Pantsula ursprünglich meist ohne Musik auf den Strassen praktiziert. Lediglich die Geräusche der aufprallenden Schuhe, die Rufe und das Pfeifen begleiteten die schnellen Tanzschritte. 

Die Pantsula-Tanzworkshops werden für Schulklassen ab der 1. Primarklasse bis zu Klassen der Sek II angeboten. Was macht diesen Tanz besonders zugänglich? Und was beeindruckt hiesige Schülerinnen und Schüler besonders?

Sobald die Workshopleiter in ihren weissen Converse-Schuhen loslegen, ist die Lebensfreude im Raum deutlich spürbar. Der Tanz ermöglicht den Schüler/innen eine aussergewöhnliche Begegnung mit einem südafrikanischen Land. Pantsula ist daher weit mehr als das Erlernen einer Choreografie: Der Tanz schafft einen interkulturellen Austausch, der nicht nur den Horizont erweitert, sondern auch ein tieferes Verständnis für unterschiedliche Lebensrealitäten und Gemeinsamkeiten ermöglicht. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkünfte erkennen die Schüler/innen zahlreiche Parallelen, die nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch in gesellschaftlichen Kontexten verbinden. Solch bedeutende Erfahrungen sind bei uns in der Schweiz leider viel zu selten.

Ein Tanzworkshop dauert in der Regel 90 Minuten. Lässt sich in dieser kurzen Zeit eine einfache Choreografie lernen? 

Das Endresultat der Workshops ist immer wieder beeindruckend. Die Verknüpfung der Bewegungen mit einer Geschichte erleichtert den Schüler/innen das Verinnerlichen des Ablaufs und das Verständnis der Inhalte. Gleichzeitig fördert die positive und energiegeladene Atmosphäre die aktive Teilnahme aller. Nach 90 Minuten sind die Schüler/innen tatsächlich in der Lage, auf tänzerische Weise eine Township-Geschichte zu erzählen.

In welcher Sprache unterhalten sich Tshediso und Teboho mit der Klasse? Begleitest du die beiden als «Übersetzerin»? 

Die Workshops werden in englischer Sprache durchgeführt. Mit der Zeit stellte sich heraus, dass meine Anwesenheit als Übersetzerin nicht mehr erforderlich ist. Zum einen haben die Tänzer/innen bereits einige schweizerdeutsche Wörter in ihrem Repertoire, wie z.B. «Grüezi», «isch guet», «füre» und «hindere», aber auch weniger Technisches wie «Chääs» oder «Chuchichäschtli». Zum anderen wird die direkte Auseinandersetzung mit der englischen Sprache von den Lehrpersonen oftmals sehr geschätzt. Bei möglichen Verständnisproblemen übernehmen englischsprachige Schüler/innen, zudem stehen auch die Lehrkräfte unterstützend zur Verfügung. Die Durchführung ohne «Schweizer Begleitung» erhöht die Authentizität der Workshops und bietet den Teilnehmenden die Möglichkeit, ihr Englisch aktiv zu nutzen. 

Werden die Workshops altersgerecht angepasst? 

Die Workshops werden mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden in der Choreografie gestaltet. Darüber hinaus werden auch die Inhalte individuell angepasst. Neben dem gemeinsamen Tanzen bieten die Workshops Raum für Diskussionen, die auf das Alter, aber auch auf die Interessen der Klassen abgestimmt sind. Bemerkenswert ist, dass gerade viele der jüngeren Teilnehmenden sehr tiefgehende und relevante Fragen stellen, was zu qualitativ hochwertigen Gesprächen führt. Für die älteren Jahrgänge empfehlen wir zudem, den Film «Life in Progress» vor den Workshops anzusehen. Dieser gibt den Schüler/innen wertvolle Einblicke in die Lebenswelt der Tänzer/innen und ermöglicht es ihnen, im Workshop gezielte Fragen zu stellen.

Thematische Anknüpfungen für den Schulunterricht gibt es zahlreiche, ob in Geschichte, Geografie, Englisch, Tanz und Musik. Wie können Lehrpersonen ihre Klassen auf die Begegnung mit den beiden Tänzern aus Südafrika vorbereiten?

Die Art und Weise der Vorbereitung kann stark variieren. Sie reicht vom gemeinsamen Lesen einer Kurzgeschichte im Englischunterricht über die Thematisierung des Tanzes im Sportunterricht bis hin zur Besprechung der Apartheid im Geschichtsunterricht. Dabei zeigt sich, dass weniger das Fachgebiet entscheidend ist, in dem die Schüler/innen vorbereitet werden, sondern vielmehr, dass sie überhaupt eine Vorbereitung erfahren. Eine gewisse Einstimmung bereichert das Erlebnis während der Veranstaltung erheblich. Um die Lehrpersonen in diesem Prozess zu unterstützen, stellen wir ein Dossier mit zusätzlichen Ideen und Materialien zur Verfügung, das auf der Website von Schule+Kultur hinterlegt ist. Der Film «Life in Progress» wurde als mögliches Element der Vorbereitung bereits erwähnt. 
 


Die Workshops für Schulklassen aus dem Kanton Zürich finden zwischen 9. März und 17. April 2025 statt und sind über Schule+Kultur buchbar. Tshediso und Teboho sind zusammen mit weiteren Pantsula-Tänzer/innen auch auf der Bühne zu erleben, und zwar im Rahmen der Tanzaufführung «BackGround»: 16./17. Mai im Kulturraum Thalwil; 23./24./27. Mai in der Aula Rämibühl in Zürich. 

Angebot «Life in Progress»
3.–6. Primarklasse, Sek I+II
Tanzaufführung «BackGround»
Infos zum Dokumentarfilm «Life in Progress»

Interview: Schule+Kultur