Direkte Begegnungen zwischen Schriftsteller/innen und jungen Menschen im Klassenzimmer fördern die Neugier auf Literatur und regen zum eigenen Schaffen an. Aus diesem Grund ermöglicht Schule+Kultur in Zusammenarbeit mit Schulkultur Stadt Zürich seit vielen Jahren Begegnungen mit Autor/innen an Schulen. Ca. 1800 Lesungen mit rund 65’000 Schüler/innen sind es jedes Jahr. Die Schreibprofis erzählen von ihrem Berufsalltag und lesen aus ihren Werken vor. Den Ablauf der rund einstündigen Lesungen gestalten die Gäste weitgehend selber. Allen gemeinsam ist, dass sie an einem gewissen Punkt mit den Schüler/innen in einen Dialog treten.
In diesen Tagen werden die neuen Programme von «Literatur Live» (Fokus Sek II) sowie «Literatur aus erster Hand» (Fokus Volksschulen) veröffentlicht. Einige der rund 100 Autor/innen, die den Schulen zur Auswahl stehen, bringen bereits langjährige Erfahrung in Schullesungen mit. Schule+Kultur hat mit vier von ihnen über ihre Arbeit in den Schulen gesprochen.
Welches waren eure Lieblingsbücher aus der eigenen Schulzeit?
Franco Supino (FS): Ganz eindeutig «Mein Name ist Eugen», ich kann noch jetzt den Anfang auswendig: «Mein Name ist Eugen, das sagt genug. Denn eine solche Jugend ist schwer.»
Sunil Mann (SM): Ich habe in meiner Schulzeit Bücher förmlich verschlungen und alles gelesen, was ich in die Finger kriegen konnte. Manchmal auch Sachen, die nicht altersgerecht waren. Besonders gern erinnere ich mich an die Romane von Michael Ende, ich habe Stephen King heiss geliebt und «Krabat» ist immer noch eines meiner absoluten Lieblingsbücher.
Svenja Herrmann (SH): Meine Lieblingsbücher in der Primarschule waren «Krabat» von Ottfried Preussler, «Märchenmond» von Wolfgang und Heike Hohlbein und ein Buch über nordische Sagen, das ich leider verloren habe. Auch «Das doppelte Lottchen» von Erich Kästner hat mich sehr berührt, aber am Ende des Buchs, erinnere ich mich, war mein Lesegefühl ein bisschen ambivalent, weil ich mir für mein Kinderleben mit getrennten Eltern genauso ein Happy End gewünscht habe.
Gabriela Kasperski (GK): Oh, ich war eine Leseratte. Die Rosengartenbibliothek in Thalwil war meine zweite Heimat. Ich habe geliebt: «Die Kinder aus Bullerbü», «Jan als Detektiv», «Gulla», «Trudi und Bönsel», «Theresli», «Chrischteli», «In den Tiefen des Ozeans», «Die Insel und die Burg der Abenteuer», «Der Graf von Monte Christo», «Liebe und Tod auf Bali», «Der rote Seidenschal», «Das Tagebuch der Anne Frank» … Also eigentlich alles, was spannend bis tragisch war und wo Aussenseiter-Charaktere ihren Weg gingen.
Wie läuft eine Schullesung bei euch ab?
FS: Ich bin gerne analog unterwegs, sonst müsste ich nicht vor Ort sein. Ich freue mich, wenn die Schülerinnen und Schüler Fragen vorbereiten, und wir ins Gespräch kommen.
GK: Ich stelle mich vor und finde über meinen kompliziert auszusprechenden Namen einen Draht zu den Kindern. Ich mische Erzählungen aus meinem Leben mit Buchpassagen, stelle immer wieder Rück- und Verständnisfragen, beziehe die Kinder über ein kleines Spiel ein und lasse sie von ihren Emotionen und Eindrücken berichten. So ungefähr plane ich das, und dann kommt es doch anders, als ich gedacht habe.
SM: Ich lese nie länger als zehn Minuten am Stück. Zwischen den Leseblöcken erläutere ich, wie das Buch entstanden ist, und was es zu beachten gilt, wenn man für junge Menschen schreibt. Meist kommen schon da Fragen, für die ich mir viel Zeit nehme. Ich erzähle von meinem Werdegang und dass es früher keine Autor/innen-Ausbildung gab.
SH: Für die Lesung aus «Auf geht’s!» blase ich am Vorabend einen riesigen Globus auf, um den Kindern zu zeigen, wo und wie weit entfernt die karibische Insel St. Lucia liegt, auf der die Geschichte von Baptiste Paul spielt, deren deutsche Fassung ich geschrieben habe. Dann packe ich Perkussionsinstrumente aus aller Welt in meinen Korb für den Dschungelchor, den wir in der Mitte der Lesung gemeinsam singen.
Was werdet ihr von den Schüler/innen häufig gefragt?
SH: Wie lange schreibt man an einem Gedicht? Kinder können oft gar nicht glauben, dass man sehr lange über ein paar Zeilen brüten kann.
FS: Bist du Napoli-Fan? Liegt Solothurn wirklich am Meer? (Dies, wenn sie die Titel mei-ner Bücher gelesen haben).
GK: Ehrlich? Wie alt ich bin und wieviel ich verdiene oder - wie in Deutschland passiert - : «Wieviel Kohle kriegste?» Und dann natürlich so wunderbare Fragen wie: welches Buch würden Sie am liebsten nochmal schreiben?
Wie profitieren Schüler/innen von Lesungen mit Autor/innen?
SM: Die Schüler/innen sehen, dass hinter einem Buch erstens viel Arbeit steckt, aber auch ein richtiger Mensch. Das können sie sich davor oft nicht so richtig vorstellen.
GK: Es ist soviel mehr als «nur eine Lesung». Es ist Auszeit vom Schulalltag, Auseinandersetzung mit einem Thema, es ist Spass und Betroffenheit, Zuhören und Dabeisein. Die Schüler/innen lernen mich kennen, sie bekommen neue Impulse, dadurch werden sie gegenseitig inspiriert – egal ob sie gut vorbereitet sind oder kaum meinen Namen kennen.
Welche Momente und Feedbacks sind euch aus bisherigen Schullesungen besonders in Erinnerung geblieben?
GK: Wenn coole Jungs ganz scheu ihre Meinung sagen und ein Mädchen mir hinterher von seinem Fantasybuchprojekt erzählt …
SM: Ein Schüler meinte, er hätte nicht gedacht, dass er jemals etwas spannend finden würde, das mit Literatur zu tun hat.
SH: Eine kleine Anekdote: Im Saal war es mucksmäuschenstill. Nur das leise Rauschen meines mitgebrachten Regenrohres war zu hören. Und ich dachte: Jetzt habe ich die Aufmerksamkeit aller und kann gleich mit meiner Geschichte anfangen. Bis plötzlich ein Kind aus dem Publikum aufschrie: «Das klingt wie eine Klospülung!» Wir mussten alle lachen!
Literatur live – Fokus Sek II
jeweils November (Anmeldung ab 22.5.)
Literatur aus erster Hand – Fokus Volksschulen
jeweils Januar – April (Anmeldung ab 12.6.)
Gabriela Kasperski war als Moderatorin und Schauspielerin tätig. Sie lebt als Autorin in Zürich, ist Dozentin für Figurenentwicklung und Kreatives Schreiben, mit ihrem Mann betreibt sie die Geschichtenbäckerei. Ihre Krimis sind auf Bestsellerlisten, für die Yeshi-Reihe hat sie viele Schullesungen gemacht. Ihre jüngste Tochter ist adoptiert, ein Teil der Erfahrungen steckt in den Yeshi-Romanen.
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Sunil Mann wurde als Sohn indischer Einwanderer im Berner Oberland geboren und lebt in Zürich Altstetten. Er hat Psychologie und Germanistik studiert, beide Studiengänge wurden erfolgreich abgebrochen. Nach dem Abschluss der Hotelfachschule heuerte er als Flugbegleiter bei der nationalen Airline an, seit 2018 ist er freischaffender Autor. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet.
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Svenja Herrmann wurde 1973 in Frankfurt a.M. geboren und wuchs im Kanton Zug auf. Sie studierte Literaturwissenschaften in Zürich. Literarisch ist sie vor allem als Lyrikerin tätig und engagiert sich als Herausgeberin von Büchern zum Thema Menschenrechte. 2007 hat sie Schreibstrom gegründet, dem die Idee zugrunde lag, Kindern und Jugendlichen ein literarisches Zuhause zu bieten.
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Franco Supino, 1965 als Sohn italienischer Eltern zweisprachig aufgewachsen, studierte an den Universitäten Zürich und Florenz Germanistik und Romanistik. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Franco Supino ist Dozent an der Pädagogischen Hochschule der FHNW und freier Autor. Er lebt in Solothurn.
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