Theater Sgaramusch: Seit 40 Jahren für Jung und Alt

Ein Gespräch mit Nora Vonder Mühll und Stefan Colombo

2022 feiert das Theater Sgaramusch ein zweifaches Jubiläum: es existiert seit 40 Jahren und wird seit 25 Jahren von Nora Vonder Mühll und Stefan Colombo geleitet. Seit 1982 sind über 40 Produktionen für Kinder und Erwachsene entstanden. 

Das Theater Sgaramusch ermöglicht neue Sichtweisen auf Altbekanntes. Mit den Mitteln des Erzähltheaters, aber auch mit Anleihen aus dem Figuren-, Tanz- oder Bewegungstheater, beleuchtet Sgaramusch mal aktuell-brisante, mal unvergänglich-zeitlose Themen. Sgaramusch will mit seinen Stücken sowohl das junge Publikum ansprechen als auch Erwachsene zum Staunen, Schmunzeln und Nachdenken bringen. Die Themen sind so universell gültig und verständlich, dass Sgaramusch bereits in 16 Ländern auf 4 Kontinenten gern gesehen wurde. 

Die Stücke von Theater Sgaramusch sind seit jeher auch fester Bestandteil im Programm von Schule+Kultur. Die Vorstellungen zeigen sie sowohl in verschiedenen Zürcher Theaterinstitutionen als auch direkt im Schulhaus. Anlässlich des doppelten Jubiläums hat Schule+Kultur mit den beiden Köpfen von Sgaramusch gesprochen.


Schule+Kultur: Sgaramusch ist wohl die schweizerdeutsche Übersetzung von Scaramouche (F), Scaramuccia (I), einer Figur aus dem italienischen Volkstheater. Die Figur ist als Grossmaul bekannt, als gewitzter Wortkünstler, als Abenteurer und Aufschneider, der auch hin und wieder eins aufs Maul kriegt. Wo ist die Übereinstimmung zwischen diesem Prototyp und eurem Theater?

Nora Vonder Mühll: Da wir den Namen damals übernommen haben, sind wir eher in ihn hineingewachsen …
Stefan Colombo: … ich habe noch heute kein Bild von diesem Scaramouche. Es bleibt für mich etwas Geheimnisvolles. Das gefällt mir. 

S+K: Ihr habt das Theater Sgaramusch im Jahr 1997 vom Regisseur und Theaterpädagogen Urs Beeler übernommen und seid nun seit 25 Jahren dem Kinder- und Jugendtheater treu geblieben. Was ist die Faszination, für junges Publikum Stücke zu entwickeln und zu spielen?

NVM: Die Faszination liegt im Spielen, in den unmittelbaren Reaktionen des Publikums. Beim Entwickeln eines Stücks ist es erst einmal nicht relevant, wie alt das Publikum sein wird. Später aber schon. Dieses Pendeln ist herausfordernd und gefällt mir.
SC: Wenn ich mir überlege, wie ich eine Geschichte so erzählen kann, dass Jung und Alt sie verstehen, zwingt es mich, klare Bilder zu schaffen und genau zu wissen, was ich zeigen will – das mag ich. 

S+K: Für eure Stückrecherchen bezieht ihr oft Kinder oder Jugendliche mit ein. Wie kann man sich diese Beteiligung vorstellen und was fliesst von diesen Erfahrungen in eure Stücke ein?

NVM: Bevor wir uns in den Proberaum zurückziehen, gehen wir in Schulklassen oder Kindergärten und arbeiten thematisch mit den Kindern und Jugendlichen. Wir lassen sie Geschichten schreiben, führen Einzelgespräche, geben ihnen Bewegungsaufgaben. Was danach ins Stück einfliesst, ist sehr unterschiedlich. In jedem Fall beeinflusst es unsere Stückentwicklung. Es ist für uns sehr hilfreich zu spüren, wo sie mit dem Thema sind. 
SC: Ich mag verschiedene Sichtweisen auf ein Thema. Kinder und Jugendliche haben oft noch mehr Fragen als fixe Antworten – und manchmal ganz faszinierende Erklärungen. Ihre spontane Art, die Welt zu erfahren, hilft mir, immer wieder Schritte abseits des ausgetretenen Trampelpfads zu wagen.

S+K: In «Tätärätätäää» treten zwei Clowns auf, die gehörig unter Erwartungsdruck leiden, «Rosa» verhandelt anhand von Rosa Luxemburgs Biografie Zivilcourage und Pazifismus und «Liebe üben» zeigt Liebesbeziehungen in all ihren Erscheinungsformen. Ihr behandelt gesellschaftlich relevante Themen. Wie geht ihr vor bei eurer Auswahl?

NVM: Wir fragen uns, was uns selbst beschäftigt … 
SC: … oder wir studieren auch mal an einer Frage aus dem Publikum herum. 

S+K: Gibt es bei der Themenwahl auch Grenzen des Zumutbaren?

NVM: Eher bei der Umsetzung eines Themas.
SC: Jungen Menschen, merke ich, kann man meist mehr zumuten, als man auf Anhieb meinen könnte. Themen wie Tod, Angst oder Mutlosigkeit interessieren sie nun mal – oft muss ich mir diese Dinge selber erst zumuten.

S+K: In euren Stücken experimentiert ihr mit vielen verschiedenen theatralen Ausdrucksmitteln: mit Text, Figuren, Objekten, Musik, Tanz. Wie war die Entwicklung dahin? Und wohin geht die stilistische Reise weiter? 

NVM: Ich habe diesbezüglich keinen festen Plan. Die Reduktion interessiert mich. Das Bühnenbild muss in unseren Bus passen. Unsere Körper werden älter. Ich möchte mich selber herausfordern.
SC: Am Anfang von etwas Neuem steht oft die Lust, mit bestimmten Menschen zusammen zu arbeiten. Danach sind wir einfach offen für das, was sich ergibt. Ich möchte mich so wenig wie möglich einschränken.

S+K: 2018 habt ihr den Schweizer Grandprix Theater erhalten, den wichtigsten nationalen Theaterpreis. In der Laudatio stand unter anderem: «Stefan Colombo und Nora Vonder Mühll haben keine pädagogischen Absichten.» Sind Pädagogik und Kunst nicht kompatibel? Darf Theater nicht mit Bildungs- und Lernprozessen in Zusammenhang gebracht werden?

NVM: Doch, unbedingt! Kunst und Pädagogik sollen sich gegenseitig beflügeln! Hier können beide Seiten sehr viel voneinander lernen, und es ist Zeit, einige Dinge frisch zu denken.
SC: Pädagogik im Sinne von «Jüngere führen» ist nicht so mein Ziel. Mit anderen Menschen zusammen neue Betrachtungsweisen zu entdecken – das ja. Und das macht für mich sowohl Kunst als auch Pädagogik überhaupt sinnvoll. 
 


Nora Vonder Mühll (geb. 1968) machte ihre Ausbildung in der Berufsschule für Tanz und Gymnastik TEAM 70 in Basel und in der Schule für Theater, Tanz und Mime COMART in Zürich. Bereits vor der Übernahme der Co-Leitung von Sgaramusch im Jahr 1997 war sie als Schauspielerin und Musikerin in zahlreichen Produktionen und Formationen aktiv. Zusammen mit Stefan Colombo gewann sie mehrere Preise für das Theater Sgaramusch, darunter 2018 den renommierten Schweizer Theaterpreis / Hans-Reinhart-Ring. 

Stefan Colombo (geb. 1963) arbeitete von 1988–2000 beim MoMoll Theater, Theater Sgaramusch und Wodaswar Theater als Schauspieler, Musiker, Techniker, Requisiteur, Autor und Produktionsleiter. Zusammen mit Nora Vonder Mühll übernahm er 1997 die Leitung des Theater Sgaramusch und war in 37 Produktionen auf der Bühne zu sehen. Daneben ist er als Autor für Sgaramusch und andere Theater tätig. 


Aktuelle Stücke im Programm von Schule+Kultur:
«Rosa»
«Gschwüschterti»
«Tätärätätäää»

Website Theater Sgaramusch
Passend zum Thema: Kontext-Beitrag zum Stand des Kindertheaters in der Schweiz (SRF)

Interview: Schule+Kultur

Stefan Colombo und Nora Vonder Mühll (Foto: BAK, Gneborg)

«Rosa» von Theater Sgaramusch (Foto: Peter Pfister)

«Tätärätätäää» von Theater Sgaramusch (Foto: Peter Pfister)