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Harald Naegeli in der Parkgarage der ETH Zürich

Über vierzig Jahre lang gehörte die ETH Parkgarage zu Harald Naegelis Lieblingsplätzen. Nun verschwindet ein Teil der zwischen 1970 und 2019 enstandenen Sprayzeichnungen aufgrund einer grösseren Sanierung für immer. Das Musée Visionnaire hat zu diesem Anlass einen Workshop entwickelt, bei dem sich Kinder und Jugendliche auf ihre eigene Art mit dem auseinandersetzten, was bleibt – oder eben nicht. Die Videodokumentation gibt einen Einblick in zeitgemässe Vermittlungstätigkeit und zeigt, wie Kreativität ausserhalb des Schulzimmers individuell und unkonventionell freigesetzt werden kann.

Nirgendwo auf der Welt findet sich eine vergleichbare Graffiti-Sammlung von Harald Naegeli, die 2020 mit dem Kunstpreis der Stadt Zürich ausgezeichnet wurde. Auch in den über dreissig Jahren, in denen der Sprayer von Zürich seinen Wohnsitz aus politischen Gründen nach Düsseldorf verlegt hatte, kehrte er auf seinen kürzeren oder längeren Stippvisiten in seine Vaterstadt immer wieder an diesen Ort – oder Unort – zurück, um neue Graffiti zu machen oder bereits vorhandene, etwas in die Jahre gekommene, aufzufrischen oder zu ergänzen. Insgesamt sind es etwa 40 Graffiti, die über den Zeitraum von mehreren Jahrzehnten entstanden sind und aus der unwirtlichen Tiefgarage ein Gesamtkunstwerk, ein einzigartiges Höhlenmuseum gemacht haben. 

Der sorgfältige Umgang der ETH Zürich mit den Graffiti im Zuge der notwendigen Sanierung der ETH- Parkgarage ist ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber Harald Naegelis Werk. Allen Bemühungen zum Trotz können jedoch nicht alle 40 Graffiti erhalten werden. Ein gutes Dutzend der Sprayzeichnungen wird dem Umbau notgedrungen zum Opfer fallen. Das ist ebenso bedauernswert wie verständlich. Graffiti gehören zur ephemeren Kunst, sind nicht für die Ewigkeit gedacht, sondern auf Zeit angelegt.

Diesen Umstand hat das Musée Visionnaire im Rahmen von Workshops für Kinder und Jugendliche in der ETH Garage aufgenommen. Schülerinnen und Schüler wurden unter der Leitung von Manuela Hitz, künstlerische Leiterin des Musée Visionnaire, und den Klassenlehrerinnen Christina Studer und Patrizia Studer über mehrere Wochen an die Thematik herangeführt, um sich schliesslich auf ihre eigene Art mit dem, was ist – und dem, was bleibt oder eben nicht bleibt – auseinanderzusetzen.

Evelyn Steigbügel hat den Prozess mit der Kamera begleitet. Entstanden ist ein Video, das Einblick in zeitgemässe Vermittlungstätigkeit gibt und zeigt, wie Kreativität ausserhalb des Schulzimmers individuell und unkonventionell freigesetzt werden kann. Sechstklässler, die im Rahmen des Pilotprojekts «Schule im Museum» jede Woche einen Morgen im Musée Visionnaire verbringen, werden in der ETH Garage zu engagierten Vermittler/innen und geben ihr Wissen an jüngere Kinder weiter. Andere machen sich Gedanken zu Kunst und ihrer Vergänglichkeit, drücken sich gestalterisch aus, werden zu einem Rap inspiriert oder interpretieren die Graffiti mit akrobatischen Einlagen.

Dank den Workshops in der ETH Garage wurden die Jugendlichen zu Zeitzeugen eines Kulturgutes, das es in dieser Form in absehbarer Zeit nicht mehr geben wird, durch ihre aktive Auseinandersetzung mit den Graffiti jedoch im Sinne eines lebendigen Archivs in Erinnerung bleiben wird.

Blog-Eintrag zum Projekt 

Text: aus dem Blog der ETH Zürich von Yvonne Türler (gekürzt von Schule+Kultur)

Foto: Caroline Minjolle

Video: Evelyn Steigbügel