Von der Schreibstube ins Klassenzimmer

Digitale Lesungen an Zürcher Schulen – ein Augenschein

Derzeit machen zahlreiche Schulklassen im Kanton Zürich erstmals Erfahrungen mit digitalen Lesungen. Wie kommt dieses Corona-Format bei den Schüler/innen, Lehrpersonen und Autor/innen an? Was gilt es bei einer virtuellen Lesung vor und während der Durchführung zu beachten? Und: Hat dieses digitale Kulturangebot auch über die Pandemie hinaus Potential? Schule+Kultur hat nachgefragt. 

«Nein, überhaupt nicht!», antwortet Jürgen Banscherus auf die Frage, ob er sich vor Corona vorstellen konnte, seine Lesungen digital durchzuführen. Eigentlich wäre der deutsche Kinderbuchautor in diesen Tagen in der Schweiz, um in mehreren Zürcher Schulen aus seinen Werken vorzulesen. Die Corona-Pandemie hat diese Lesereise im Rahmen von Literatur aus erster Hand jedoch verhindert. Statt in der Schule liest Banscherus nun wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen ausserhalb der Schweiz vor seinem heimischen Computer. Sein Publikum ist ihm aus einem oder sogar mehreren Zürcher Klassenzimmern zugeschaltet. Da das Mikrofon in den Klassen aus akustischen Gründen meist ausgeschaltet sein muss, liest Banscherus in eine «völlige Stille hinein». Zusammen mit den in den höheren Jahrgängen vorgeschriebenen Masken fühlt er sich in einer fast «autistischen Situation», die für einen Autor, der von den unmittelbaren Reaktionen während den Lesungen lebt, zu Beginn nicht ganz einfach war. Unerlässlich sei, vor der Lesung alles Technische zu testen, um unnötigen Frust zu vermeiden. Dazu raten alle Literarturschaffenden und Lehrpersonen, mit denen sich Schule+Kultur bislang austauschen konnte: Welche Videokommunikationsplattform nutzen wir? Wo steht der Laptop? Wie sieht es mit den Lichtverhältnissen aus? Und – vor allem: Wie ist die Akustik? Der vorgängige Aufwand zahle sich aus, denn das Wichtigste sei doch, dass die Lesungen überhaupt stattfinden können, so der Konsens. 

Digitale Lesungen geben Planungssicherheit und bringen Farbe in den grauen Corona-Alltag – sowohl für die Literaturschaffenden als auch für die Schulen. «Die Schülerinnen und Schüler lechzen nach Abwechslung im Schulalltag und wir alle waren dankbar um die Inputs einer Person von aussen», bringt es Alexander van Engelen, Sekundarlehrer in Wetzikon, auf den Punkt. Das ungewöhnliche Setting habe seine Vor- und Nachteile, wie viele Lehrpersonen berichten. Die Konzentrationsspanne der Schülerinnen und Schüler sei bei einer digitalen Lesung tendenziell kürzer und eine gute inhaltliche Vorbereitung deshalb umso mehr empfehlenswert. Auch interaktive Elemente wie Vorstellungsrunden, Aufwärmübungen, Homestorys, Spiele und andere kreative Interventionen wurden sehr geschätzt. Ganz besonders spassig scheint es bei den Lesungen von Anja Janotta zu- und herzugehen: «Ich habe in einer Gruselszene das Zimmer abgedunkelt und nur im Schein der Taschenlampen-App auf meinem Handy gelesen – ein sehr gelungenes Experiment, denn die Lehrpersonen haben ihrerseits auch das Licht ausgeknipst und wir haben allesamt im Dunkeln gelesen.»
Trotzdem betonen alle Autorinnen, Autoren und Lehrpersonen, dass eine Lesung am Bildschirm das Erlebnis einer realen Begegnung nicht dauerhaft ersetzen könne. Welchen Stellenwert digitale Lesungen und andere virtuelle Kulturangebote im Schulkontext in einer Welt nach Corona einnehmen werden, bleibt abzuwarten. Ein erstes Zwischenfazit lautet aber: Kultur in der Schule findet statt – live und mit vollem Einsatz! 

Digitale Lesungen – Tipps für Lehrpersonen und Autor/innen

  • Technik vorab testen: Welche Videokommunikationsplattform wird benutzt, Standort der Kamera, Lichtverhältnisse, Akustik, standfeste WLAN-Verbindung 
  • Ablauf besprechen und Rollen klären: Die Lehrperson wählt eine digitale Verbindungsart und teilt diese dem/der Autor/in mit; die Lehrperson übernimmt die Moderation
  • Kurze Vorstellungsrunde einplanen, damit die Autor/innen sehen, zu wem sie sprechen
  • Anstelle der Anfahrt können die Autor/innen sich vorgängig den Standort der Schule auf Google Maps anschauen, um sich vorstellen zu können, wo sie lesen
  • Prinzip der Fragerunde vorab vereinbaren: Kommen die Schülerinnen und Schüler für ihre Fragen nach vorne zum Laptop oder bringt die Lehrperson den Laptop zur fragenden Person? Wird die Chatfunktion benutzt? Etc. 
  • Auflockernde, interaktive Elemente in die Lesung einbauen. Beispiele: Aufwärmübung, «Home-Story» über den Arbeitsplatz der Autor/innen, Spiele, etc. 
  • Wärmstens empfohlen: Gute inhaltliche Vorbereitung / Einstimmung der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrperson

Text: Schule+Kultur

Foto: Anja Janotta